Zum Inhalt springen

Titel: Warum wir starke Organisationen brauchen – Das unterschätzte Potential von Organisationen in sozialen Kämpfen

Inhalt: Angestoßen von Lumiis und Fafas Text „Organisiert euch! Lernen von unseren internationalistischen Freund*innen weltweit“ setzen sich Tschika und Tuk in ihrem Text mit dem Aufruf, von Internationalist*innen und aus der Geschichte zu lernen auseinander, widmen sich der Frage, was eine Organisation ist und begründen, weshalb sie glauben, dass Organisation(en) eine Perspektive zur Beantwortung der von Lumii und Fafa aufgeworfenen Fragen sein können.

Tschika und Tuk sind seit mehreren Jahren in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv und Mitglieder der Interventionistischen Linken bzw. des Bloque Latinoamericano. Im folgenden Text schreiben beide aus ihrer persönlichen Perspektive.

Sprache: Deutsch

Einleitung

Nach der Räumung Lützeraths stellen sich viele Menschen aus der Klimagerechtigkeitsbewegung (KGB) erneut die Frage „was nun“? In einem Beitrag, der kürzlich bei KlimaX veröffentlicht wurde, haben Lumii und Fafa dabei in Frage gestellt, ob es wirklich der Moment ist darüber nachzudenken, welchen Ort wir als nächstes besetzen, was das nächste große Thema oder die nächste große Aktion sein könnte. Stattdessen schlagen sie vor, aus der Geschichte und von internationalen Erfahrungen, wie denen der Zapatistas in Chiapas (Mexiko) oder der kurdischen Freiheitsbewegung zu lernen und uns die Frage zu stellen, wie wir uns besser organisieren können. Ziel dabei wäre es das Wissen von Generation zu Generation besser weiterzugeben, langfristiger aktiv und somit letztlich erfolgreicher zu sein.

Es freut uns sehr, dass sie diese Debatte angestoßen haben, denn auch wir sehen die Notwendigkeit einer stabileren Organisation. Im Folgenden möchten wir an diesen Beitrag anknüpfen und die Debatte um einige Gedanken erweitern. Wir hoffen so konstruktiv zu der Debatte und dem Aufbau von erfolgreich kämpfenden Organisationen beizutragen.

Hierfür wollen wir uns zu Beginn unseres Beitrags mit dem Aufruf beschäftigen, von Internationalist*innen und aus der Geschichte zu lernen. Anschließend widmen wir uns im Hauptteil der Frage, was eine Organisation ist, um dann zu begründen, weshalb wir glauben, dass Organisation(en) eine Perspektive zur Beantwortung der von Lumii und Fafa aufgeworfenen Fragen sein können. Dementsprechend beziehen wir uns im Folgenden, wenn wir von Organisationen sprechen, auf solche, die eine Transformation der Gesellschaft hin zu einer lebenswerten Welt für alle anstreben.

Aus der Geschichte lernen

Die hierzulande in der KGB wahrscheinlich bekanntesten revolutionären Bewegungen der Gegenwart sind die Zapatistas in Chiapas (Mexiko) und die kurdische Freiheitsbewegung. Folgerichtig sind es auch diese beiden Bewegungen, auf die sich die meisten Personen der KGB beziehen, wenn es darum geht, von anderen revolutionären Kämpfen zu lernen. Auch wir sind begeistert und inspiriert von den Kämpfen in Chiapas und Kurdistan, versuchen aus ihnen zu lernen und ziehen Hoffnung aus ihren Erfolgen und ihrer Hingabe. Jedoch denken wir, dass es dabei wichtig ist zu beachten, wie verschieden der aktuelle deutsche Kontext zu den Kontexten ist, in denen diese Bewegungen entstanden und groß geworden sind.

In beiden Fällen, Chiapas und Kurdistan, handelt es sich um sehr ländliche Regionen mit einem größtenteils abwesenden Staat, welcher der Bevölkerung nur als repressive Gewalt begegnet und einer wenig oder nur punktuell ausgebauten, staatlich garantierten Infrastruktur. Im Gegensatz dazu gibt es in Deutschland kaum einen Aspekt im Leben der Menschen, der nicht durch den deutschen Staat geregelt oder zumindest berührt wird. Und dabei handelt es sich bei weitem nicht nur um negative Aspekte. So stellt der deutsche Staat z.B. auch Sozialleistungen, ein Bildungswesen und ein Gesundheitssystem bereit, so unzureichend diese auch sein mögen. Die Existenz dieser Leistungen ist einerseits durch soziale Kämpfe (hauptsächlich der Vergangenheit) begründet. Andererseits aber auch dadurch, dass der deutsche Staat es geschafft hat, diese Errungenschaften der sozialen Kämpfe funktional für seine Nationalökonomie zu nutzen und ihm als Teil des imperialistischen Zentrums hierfür viel größere ökonomische Mittel zur Verfügung stehen.

Generell tritt der Kapitalismus den Menschen in Chiapas und Kurdistan eher als etwas äußeres gegenüber als in den hoch industrialisierten Staaten des imperialistischen Zentrums. So sind die Menschen in Chiapas und Kurdistan zu einem viel größeren Teil in gemeinschaftliche und selbstversorgende Strukturen eingebunden und sind daher für den Zugang zu ihren Lebensgrundlagen weit weniger auf den Markt und den Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen als die Menschen Deutschland. Außerdem dürfen wir auch nicht vergessen, dass die Bewegungen in Chiapas und Kurdistan sehr weit entwickelt sind und sehr lange Wege zurückgelegt haben. Die zentralen Organisationen für diese Kämpfe nahmen ihre Anfänge bereits in den 70er (PKK) bzw. frühen 80er (EZLN) Jahren.

Wir wollen damit nicht sagen, dass wir nichts von diesen Bewegungen lernen können – im Gegenteil! Gerade der Internationalismus der kurdischen Freiheitsbewegung und ihr Organisationsaufbau auch in Deutschland kann Quelle der Inspiration sein. Oder auch die politische Form der Zapatistas mit ihrer Form imperativer Mandate. Allerdings denken wir, dass es sinnvoll ist, sich der Unterschiede und begrenzten Übertragbarkeit von Erfahrungen bewusst zu sein und auch solche Beispiele zu suchen, die aus einem Kontext stammen, der den heutigen Bedingungen und dem Zustand der Linken in Deutschland ähnlicher ist.

Ohne uns tiefgreifend mit allen von ihnen auseinandergesetzt zu haben, glauben wir, dass es spannend wäre sich mit der Entstehungsgeschichte, Entwicklung und dem Agieren von Organisationen zu beschäftigen, die im Kontext der revolutionären Erhebungen zum Ende des 1. Weltkrieges in Europa, des spanischen Bürgerkrieges, der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung oder der revolutionären Kämpfe Ende der 60er und 70er Jahre vor allem in Lateinamerika und Europa aktiv waren. Bei der gemeinsamen Suche nach weiteren vergleichbaren und lehrreichen Beispielen freuen wir uns sehr über Anregungen und Perspektiven.

Noch wichtiger als das, erscheint uns aber zu überlegen, wie und was wir von den revolutionären Bewegungen der Vergangenheit und Gegenwart lernen sollten. Wir sind der Meinung, dass wir nicht versuchen sollten, Lösungen der Vergangenheit oder anderer Kontexte auf unseren gegenwärtigen Kontext in Deutschland anzuwenden. Stattdessen sollten wir uns mehr darauf fokussieren zu lernen, wie andere Bewegungen bzw. ihre Akteure gedacht und gehandelt haben, um auf die Lösungen für ihren konkreten Kontext zu kommen und wie ihre Lernprozesse aussahen. Diese theoretischen und praktischen Werkzeuge, die ihnen geholfen haben, Lösungen für ihre Kontexte zu finden, sollten wir dann nutzen, um Lösungen für unseren Kontext zu finden. Denn diese werden sicherlich andere sein.

Um auf diese Art und Weise von anderen Akteuren zu lernen, sollten wir uns zunächst den Kontext ansehen, indem diese entstanden sind und sich entwickelt haben und anschließend ihre Handlungen in diesem betrachten. Vor allem sollten wir dabei versuchen zu verstehen, wie sie selbst diese Handlungen begründeten, also welche Ziele sie mit diesen Handlungen verfolgten, ob sie diese Ziele erreichten und wie sie selbst im Nachhinein ihre Handlungen bewerten. Wir sollten also versuchen wirklich von diesen Akteuren zu lernen und darauf achten, nicht einfach die Lösungen, die sie in ihrem Kampf für ihren Kontext gefunden haben, auf unseren Kontext zu übertragen.

Was ist eigentlich eine Organisation?

In jeglichen revolutionären Umwälzungen der Vergangenheit hat es immer starke Organisationen gegeben, die Prozesse vorantreiben, ihnen Orientierung geben und die Erfahrungen der Kämpfe verarbeiteten, aufbewahren und bereitstellen, sowie die Aufs und Abs der Bewegungen überdauerten und so die Flamme der Hoffnung am brennen hielten. Wir glauben, dass Organisationen einen entscheidenden Faktor in den Kämpfen um eine lebenswerte Welt für alle darstellen. Aber was ist eigentlich eine Organisation und warum glauben wir, dass Organisationen ein solches Potential besitzen?

Im Gegensatz zu Bewegungen ist in Organisationen klar definiert, wer Teil von ihnen ist und wer nicht. Je nach den Tätigkeiten der Organisation muss diese Mitgliedschaft nicht zwangsläufig nach außen sichtbar sein. Neben definierten Mitgliedern besitzen Organisationen zusätzlich auch klar definierte interne Strukturen. Diese Strukturen sind z.B. Arbeitsgruppen und ihre Plena, regelmäßige Vollversammlungen oder Tagungen. Aber auch die Art und Weise, wie diese Untergruppen miteinander interagieren und wie und auf welchen Ebenen Entscheidungen getroffen werden (können) ist Teil der internen Struktur. Wie genau Entscheidungen getroffen werden, ist von Organisation zu Organisation unterschiedlich. In einigen Organisationen bestimmen Einzelne, in anderen müssen sich alle Mitglieder einig sein, um Entscheidungen fällen zu können. Meist ist es jedoch eine Mischform, in denen weder Einzelne alles entscheiden, noch alle immer an jeder einzelnen Entscheidung beteiligt sind. Im Gegensatz zu Bewegungen ist in Organisationen jedoch klar, wie und von wem die entsprechenden Entscheidungen getroffen werden.

Die interne Struktur von Organisationen, wird z.B. in einigen lateinamerikanischen Kontexten auch Organik genannt. Mit diesem Begriff wird die Ähnlichkeit hervorgehoben, die zwischen der Funktionsweise von Organisationen und dem Zusammenspiel von Organen, die zusammen einen Organismus ergeben, besteht. Das Bild kann uns helfen zu verstehen, dass für verschiedene Anforderungen verschiedene Strukturen/Organiken gebraucht werden und es keine Patentlösung gibt. So wie ein Fisch sich aufgrund der Anforderungen eines Lebens im Wasser von einem pflanzenfressenden Wiederkäuer an Land unterscheidet, so ist eine Gewerkschaft etwas anderes als ein Mieterverein, eine Partei oder eine Bezugsgruppe. Beide Organismen sind für ihren Kontext funktional und müssen sich verändern, wenn der Kontext es tut. Mit dem Bild kann auch verständlich werden, warum Organisationen wandelbar sein müssen. Denn ändern sich die Anforderungen, müssen sich auch Organisationen verändern, um weiterhin ihre Funktion zu erfüllen, nämlich die Transformation der Gesellschaft voranzutreiben. Daraus ergibt sich, dass erfolgreiche Organisationen in einem kontinuierlichen Wandel begriffen sein müssen: Schaffen sie, es gesellschaftlichen Umstände zu transformieren, macht das wiederum eine Transformation der Organisation nötig.

Potentielle Eigenschaften von Organisationen

Die beschriebenen grundlegenden Charakteristika von Organisationen eröffnen Spielräume, bestimmte charakteristische Eigenschaften zu entwickeln. Natürlich hat nicht jede Organisation automatisch alle diese Eigenschaften, die wir im Folgenden beschreiben. Wir begreifen sie daher eher als Potentiale von Organisationen, als mögliche und erstrebenswerte Eigenschaften, die sie haben können, aber nicht haben müssen.

Koordiniertes Handeln, Reaktionsfähigkeit und Ansprechbarkeit:
Eine Gruppe von Personen kann mehr erreichen, als ein einzelnes Individuum, umso mehr, wenn sich die Personen der Gruppe absprechen, ihre Handlungen koordinieren und zielgerichtet vorgehen. Der stabile Rahmen von Organisationen ermöglicht den Mitgliedern langfristig ihre Handlungen zu koordinieren und so gemeinsame Kriterien für dieses Handeln zu entwickeln. Es kann eine gemeinsame Strategie erarbeitet werden, die mit zunehmender Erfahrung der Organisation immer weiter ausgefeilt wird. Das macht es wiederum möglich, nicht alles immer wieder aufs Neue diskutieren zu müssen oder zumindest nur in den zeitlichen Abständen, auf die man sich geeinigt hat. Diese Klarheit ermöglicht gleichzeitig auch eine schnellere koordinierte Reaktion auf tagespolitische Ereignisse, da nicht erst geguckt werden muss, wer mit wem reagiert, dann entschieden werden muss, wie zu reagieren ist und schließlich Menschen, die nicht gewohnt sind zusammenzuarbeiten, ggf. unter Zeitdruck zusammen agieren müssen.

Und Organisationen sind ansprechbar. Einerseits sind sie ansprechbar für meinungs- und diskursbildende Medien, die wir brauchen, um eine Vielzahl von Menschen zu erreichen und überzeugen zu können. Dabei können Organisationen im Umgang mit diesen Medien darauf achten, wer spricht und, dass diese Personen kollektiv ausgehandelte Positionen vertreten, so dass nicht nur die Positionen von prominenten Einzelpersonen öffentlich Gehör bekommen. Dies bietet die Möglichkeit gesellschaftliche Machtstrukturen innerhalb der Organisation abzubauen und marginalisierten Perspektiven und Personen eine höhere Sichtbarkeit einzuräumen.

Andererseits sind Organisationen ansprechbar für Menschen, die gerne politisch aktiv wären, aber keinen politischen Freund*innenkreis oder Zugang zu einer linken Szene haben. Diese Menschen können somit auch ohne persönliche Kontakte aktiv werden.

Über die Zeit etablieren sich Organisationen in der Öffentlichkeit und in den einzelnen Bewegungen in denen sie aktiv sind als gesellschaftliche bzw. Bewegungsakteure. Je mehr sie dies schaffen, desto eher werden sie zu Anlaufstellen und Referenzpunkten und desto mehr sind sie in der Gesellschaft und in den Bewegungen selbst verankert.

Wissensweitergabe und Bildung der Aktiven:
Organisationen ist es auch möglich, Wissen und Erfahrungen über konkrete Individuen hinaus aufzuarbeiten, aufzubewahren und bereitzustellen. Wissen und Erfahrungen sind so nicht von einzelnen Individuen abhängig und verschwinden auch nicht, wenn diese wegfallen. Außerdem sind Organisationen in der Lage systematisch die Erfahrungen und das Wissen Vieler zu bündeln und auf Viele zu verteilen, so dass Wissenshierarchien abgebaut werden und das Wissen und die Erfahrungen wirkmächtiger zum Einsatz gebracht werden können.

Der anhaltende Kontakt der Mitglieder untereinander innerhalb einer Organisation erlaubt zusätzlich, dass diese sich einspielen und lernen, immer besser miteinander aktiv zu sein. Andererseits erlaubt dieser bleibende Kontakt aber auch, dass die verschiedenen Erfahrungen und das jeweilige Wissen der Mitglieder aktiv untereinander geteilt und weitergegeben werden kann. Dies kann passieren, indem innerhalb der geteilten Praxis Tipps gegeben, Literatur empfohlen oder die Übernahme bestimmter Aufgaben nahelegt werden, deren Ausführung Erfahrungen bereithält, die wertvoll für die politische Entwicklung der jeweiligen Mitglieder sein können. Wir glauben, dass es zentral für das Vorwärtskommen von Organisationen ist, dass erfahrene Mitglieder auf diese Art und Weise ihrer Verantwortung nachkommen, ihr Wissen und ihre Erfahrungen aktiv zu teilen und zu vermitteln.

Über die Zeit kann durch diese Prozesse auch aktiv eine geteilte inhaltliche Basis innerhalb der Organisation geschaffen werden. Genauso ist es möglich eine geteilte Kultur, Formen des Umgangs und Werte zu etablieren, die charakteristisch für die Organisation werden.


Wachstum über die Zeit und langfristige Arbeit:
Dadurch, dass Organisationen über das Aufflammen und Abklingen von aktuellen politischen Kämpfen hinaus bestehen, können sie über die Zeit Erfahrungen sammeln, Aktive gewinnen und gesellschaftlichen Einfluss mehren und sich über stabile Strukturen festigen. Auch wenn Teil einer Organisation zu sein natürlich nicht garantiert, dass Menschen mit dem Abklingen von Hochphasen politischer Aktivität selber inaktiv werden, bietet die Mitgliedschaft in und dadurch klare Zugehörigkeit zu einem kollektiven Rahmen (Organisation) einen gewissen Schutz gegen das Abrutschen in die Passivität.

Diese Eigenschaft erlaubt es Organisationen über konjunkturelle Hoch- und Tiefphasen des politischen Kampfes hinweg zu wachsen. In den Tiefphasen verlieren sie weniger Aktive an die Passivität und gehen so in jede Hochphase, in der sie dann wieder neue Mitglieder hinzugewinnen, stärker als in die vorherige. So können sie über die Aufs und Abs hinweg in der Tendenz wachsen, während Bewegungen potentiell in einem viel stärkeren Maß von der Demobilisierung betroffen sind, die mit dem Abflauen eines konkreten politischen Kampfes eintritt.

Dieses Bestehen über die Zeit erlaubt Organisationen auch kontinuierlich und längerfristig aufeinander aufbauende Arbeit zu betreiben, die es braucht, um Menschen, deren eigener Impuls es zunächst nicht wäre, sich politisch zu organisieren oder die gar anti-empanzipatorische Weltanschauungen haben, auf unsere Seite zu ziehen und zu Verbündeten im Kampf für eine lebenswerte Welt für Alle zu machen.


Ressourcen und Kapazitäten:
Organisationen können Ressourcen bündeln und verwalten. So ist es ihnen möglich z.B. über Räumlichkeiten, Fahrzeuge , Kommunikationsmittel oder schlicht finanzielle Mittel zu verfügen. Die Verfügung über diese Mittel ermöglicht einen größeren Rahmen an Handlungsmöglichkeiten und eine erhöhte Wirksamkeit. Und sie ermöglicht ein Verfügen unter neuem Vorzeichen. Statt Ressourcen nach Kaufkraft und Profitabilität zu verteilen, wie es in einer kapitalistischen Gesellschaft der Normalzustand ist, können Organisationen sie nach Kriterien wie Bedürfnissen oder Nutzen für den politischen Kampf verteilen und einsetzen. Zudem können Organisationen ihre Mittel priorisiert jenen Kämpfen und auch jenen Mitgliedern zur Verfügung stellen, die aufgrund ihrer marginalisierten Position einen erschwerten Zugang zu finanziellen, räumlichen oder anderen Mitteln haben. Auch Kapazitäten der Mitglieder in Organisationen können kollektiv bewertet und verteilt werden. Nicht vereinzelt alle für uns selbst mit unseren Energien haushalten zu müssen (und generell weniger vereinzelt zu sein), kann unserem Ausbrennen entgegenwirken.


Aufbau neuer Beziehungsweisen:
Zu guter Letzt können Organisationen uns auch helfen, uns kollektiv persönlich weiterzuentwickeln. Denn zwischen jedem kollektiven Zusammenhang und den Individuen, die diesen zusammensetzen, besteht eine wechselseitige Beeinflussung. Je stärker und langfristiger die Verbindung der Individuen mit dem Kollektiv, desto stärker ist auch diese wechselseitige Beeinflussung. Das bedeutet, dass eine Organisation viel stärker durch ihre einzelnen Mitglieder beeinflusst wird, als eine Bewegung durch die einzelnen Menschen, die sich ihr zugehörig fühlen und andersherum die Organisation auch stärker Einfluss auf jedes ihrer Mitglieder nimmt, als eine Bewegung auf all jene, die in ihr aktiv sind. Das schafft die Möglichkeit, dass wir in Organisationen nicht nur koordiniert an einer Transformation der Gesellschaft arbeiten können, sondern auch an uns selbst. Dadurch können wir die in verschiedenem Maße verinnerlichten Herrschaftsstrukturen, wie bspw. Rassismus und Patriarchat, reflektieren und abbauen und die Art und Weise, wie wir mit uns und unserer Umwelt in Beziehung treten verändern. So können bereits im Bestehenden Aspekte einer anderen, lebenswerteren Welt entstehen und weiterentwickelt werden.

Keine falschen Widersprüche

Wir denken, dass diese möglichen Eigenschaften von Organisationen ein Lösungspotential für die Fragen darstellen, wie wir es schaffen können, längerfristiger aktiv zu bleiben, wie wir Wissen und Diskussionsstände von Generation zu Generation weitergeben können und auch dafür, wie wir uns wieder in der Gesellschaft verankern können.

Dabei ist uns wichtig zu sagen, dass wir Organisationen und Bewegungen einander nicht gegenüber stellen. Stattdessen verstehen wir Organisationen als essenziellen Bestandteil von Bewegungen. Wir sind der Meinung, dass Aufgrund des Potentials von Organisationen, es mehr von ihnen in der Bewegung braucht bzw. mehr Menschen Teil von Organisationen sein sollten.

Zur Zeit ist uns keine Organisation bekannt, welche erfolgreich all die beschriebenen Potentiale ausschöpft. Aber wie wir bereits betont haben, können und müssen Organisationen in einem ständigen Wandel begriffen sein. In diesem Sinne hoffen wir, dass dieser Text auch für bereits existierende Organisationen inspirierende Anstöße bereithält.

Abschließend ist es uns wichtig noch ein Mal hervorzuheben, dass es nicht eine einzige Antwort auf die Schwierigkeiten und Herausforderungen gibt, vor denen die gesellschaftliche Linke in Deutschland und weltweit auf dem Weg zu einer befreiten Gesellschaft steht. Doch je mehr wir sind, die nach Antworten suchen, desto eher werden wir fündig werden. Entscheidend wird es hierbei sein, keine Angst vor Fehlern zu haben und gleichzeitig kontinuierlich kritisch unsere Praxis und Organisationsformen zu hinterfragen und sie so weiterzuentwickeln.

Unserer Ansicht nach existieren wir Menschen und auch unsere Gedanken natürlich nie isoliert voneinander und beide sind immer Produkt eines kollektiven Rahmens. Deshalb gilt an dieser Stelle unser herzlichster Dank all jenen, die zu diesen Themen geschrieben, mit uns über sie diskutiert und die uns in unserer gemeinsamen Praxis weitergebildet und inspiriert haben.

Wenn ihr Fragen, Anmerkungen oder Kritik zu den von uns geteilten Gedanken habt, schreibt uns gerne. Wir freuen uns über euer Feedback. Kontakt: debatte-organisation@riseup.net

Tschika und Tuk